Pferderennen sind in unserer modernen Gesellschaft nicht nur Selbstzweck, sondern sie verfolgen auch ein bestimmtes Ziel: die Verbesserung der Pferdezucht. Um dies zu erreichen braucht man einen Plan, und dieser Plan sieht vor, unter den etwa 750 in jedem Jahr geborenen Vollblutfohlen das Beste zu ermitteln. Hierzu hat der Galoppsport ein ausgeklügeltes Rennsystem entworfen, das von vielen als kompliziert empfunden wird, bei genauerer Betrachtung aber recht einfach ist: Alle Pferde eines „Jahrgangs“ durchlaufen zunächst unter sich ein aufsteigendes Prüfungssystem, an dessen Spitze im Sommer eines Jahres das Deutsche Derby steht, in dem die besten 3-jährigen Pferde ermittelt werden.
Nach dem Deutschen Derby folgt als nächste Stufe der Vergleich mit den besten Pferden der älteren Jahrgänge. Die Systematik dieses Stufenplans wird weltweit in allen Rennsportnationen gelebt.
In Deutschland kommt dem Großen Preis von Berlin eine ganz besondere Bedeutung zu, denn er ist traditionell das erste Spitzenrennen über 2400 m, in dem die besten dreijährigen und älteren Pferde auf höchster Ebene gegeneinander antreten. Die besondere Wichtigkeit dieses Rennens wird daran deutlich, dass es seit dem Jahr 1888 mit Ausnahme der Jahre 1915 sowie 1945 und 1946 ausgetragen wurde. Der Berliner Grand Prix ist eines von nur sieben Rennen der europäischen „Gruppe I“ in Deutschland, das Ereignis der Berliner Rennsaison und in jedem Jahr unter den drei höchsteingestuften deutschen Galopprennen.
Wechselnde Austragungsorte
Von 1888 bis 1908 wurde das Rennen in Hoppegarten ausgetragen. Ab 1909 fand das Rennen auf der neu eröffneten Rennbahn Berlin-Grunewald statt. Die hochmoderne Grunewald-Bahn war für die Besuchermassen an diesem Prestige-Tag besonders geeignet. Die Grunewald-Bahn musste 1933 vom Renn-sport auf persönliche Anordnung Hitlers an das Reich abgetreten werden, um dem heutigen Olympia-Stadion für die Spiele 1936 zu weichen.
Von 1934 bis 1944 kehrte der Grosse Preis auf die Rennbahn Hoppegarten zurück, die zuvor erweitert wurde (Haupttribüne, Eintrittsanlage, Rechengebäude). Von 1947 bis 2009 wurde der Grosse Preis von Berlin auf der Rennbahn Düsseldorf-Grafenberg ausgetragen. Sämtliche Berliner Traditionstitel fanden im Westen Deutschlands eine neue Heimat. 2010 wurde das Rennen einmalig in Hamburg-Horn ausgetragen. 2011 kehrte der Grosse Preis von Berlin an seine Geburtsstätte nach Hoppegarten zurück.
Die Rückkehr des Traditionsrennens, der „121. Grosser Preis von Berlin“, war das beste Rennen der gesamten deutschen Saison 2011 und hätte spektakulärer nicht sein können: Es war der erste Sieg der deutschen dreijährigen Ausnahmestute DANEDREAM in einem Rennen der EuropaGruppe I und der Auftakt einer sensationellen Karriere. Sie gewann anschließend den Großen Preis von Baden, mit fünf Längen Vorsprung und in Rekordzeit den weltberühmten Prix de l’Arc de Triomphe sowie den King George VI and Queen Elizabeth II Stakes (Ascot).
Die Austragung des “Grossen Preis von Berlin” im Jahr 2013 brachte das weitaus spektakulärste deutsche Grand Prix-Rennen des Jahres und sorgte auf der Rennbahn zuerst für Staunen, dann für ganz außergewöhnliche Begeisterungsstürme. Grund dafür war ein Parforce-Ritt des damals 18-jährigen Dennis Schiergen, der auf der Stute NYMPHEA mit dem Sieg Start-Ziel auf und davon eilte. Das Publikum jubelte gleich zweimal: als der Trainersohn auf der Stute mit ungewöhnlich großem Vorsprung die Zielgerade ansteuerte, und dann, als der wagemutige Ritt am Ziel mit einem Vorsprung von noch drei Längen und dem Sieg endete. Es war der erste Ritt und der erste Sieg eines Amateurrennreiters in der langen Geschichte dieses Toprennens.
Im Jahr 2015 wurde der “Grosse Preis von Berlin” als „Deutschlands bestes Rennen“ ausgezeichnet. Der englische Gast SECOND STEP schlug ITO, das beste ältere deutsche Pferde, und den überlegenen Sieger des Deutschen Derbys, NUTAN.
In den Jahren 2020 und 2021 wurde der “Grosse Preis von Berlin” gleich zweimal hintereinander zu “Deutschlands bestes Rennen” gekürt. Die Sieger der beiden Jahre TORQUATOR TASSO und ALPINISTA siegten zudem in den jeweils darauf folgenden Jahren im „Prix de l´Arc de Triomphe“.
2022 gewann hier REBEL’S ROMANCE sein erstes Gruppe I-Rennen und anvancierte anschließend zu einem erfolgreichen Weltenbummler. Der von Charlie Appleby in Newmarket (GB) trainierte Wallach siegte daraufhin im Preis von Europa (Gr. I), im Breeders Cup Turf (Gr. I) in den USA und 2024 gleich dreimal auf Gruppe I-Ebene in Katar, Dubai und Hong Kong.
Den hohen sportlichen Wert des “Grossen Preises von Berlin” spiegelt die Siegerliste wieder. Unter den Gewinnern findet man die Namen von Rennpferden, die die weltweite Zucht geprägt haben, z.B. OLEANDER (1928/29), SCHWARZGOLD (1940), TICINO (1942-1944), LUCIANO (1968), LOMBARD (1971/1972), ACATENANGO (1986) und dessen Sohn LANDO (1995) sowie LOMITAS (1991) und seine Tochter DANEDREAM (2011) sowie ADLERFLUG (2008).
Sogar fünf Sieger des bedeutendsten Rennens der Welt, des „Prix de l’Arc de Triomphe“, sind in der Siegerliste des Grossen Preis von Berlin zu finden: neben CORRIDA, MARIENBARD, DANEDREAM und TORQUATOR TASSO auch ALPINISTA.
Dies zeigt auch, dass der “Grosse Preis von Berlin” international ist. Unter den bisher 132 Siegern (einmal gab es ein totes Rennen) findet man die Namen von vierzehn Pferden, die aus England, Frankreich, Italien oder Österreich angereist waren.
Die Sieger des Grosser Preis von Berlin seit 1991
Jahr | Sieger | Alter | Trainer | Besitzer | Jockey |
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1991 | Lomitas | 3 | Andreas Wöhler | Gestüt Fährhof | Peter Schiergen |
1992 | Platini | 3 | Bruno Schütz | Stall Steigenberger | Mark Rimmer |
1993 | Kornado | 3 | Bruno Schütz | Stall Granum | Mark Rimmer |
1994 | Sternkönig | 4 | Theo Grieper | Gestüt Röttgen | Andreas Helfenbein |
1995 | Lando | 5 | Heinz Jentzsch | Gestüt Haus Ittlingen | Peter Schiergen |
1996 | Hollywood Dream | 5 | Uwe Ostmann | Gestüt Ittlingen | John A. Ried |
1997 | Luso | 5 | Clive E. Brittain | Darley Stud | Lanfranco Dettori |
1998 | Ungaro | 4 | Hans A. Blume | Gestüt Röttgen | Terence Hellier |
1999 | Ungaro | 5 | Hans A. Blume | Gestüt Röttgen | Andrasch Starke |
2000 | Mutafaweq | 4 | Saeed bin Suroor | Godolphin | Richard Hills |
2001 | Anzillero | 4 | David K. Richardson | Gestüt Erlenhof | Kevin Woodburn |
2002 | Marienbard | 5 | Saeed bin Suroor | Godolphin | Lanfranco Dettori |
2003 | Sabiango | 5 | Andreas Wöhler | Gestüt Fährhof | Eduardo Pedroza |
2004 | Albanova | 5 | Sir Mark Prescott | Kirsten Rausing | Terence Hellier |
2005 | Gonbarda | 3 | Uwe Ostmann | Gestüt Auenquelle | Filip Minarik |
2006 | Donaldson | 4 | Peter Rau | Gestüt Ittlingen | Torsten Mundry |
2007 | Schiaparelli | 4 | Peter Schiergen | Stall Blankensee | Andrasch Starke |
2008 | Adlerflug | 4 | Jens Hirschberger | Gestüt Schlenderhan | Fredrik Johansson |
2009 | Getaway | 6 | Jens Hirschberger | Georg Baron v. Ullmann | Stephen Hellyn |
2010 | Campanologist | 5 | Saeed bin Suroor | Godolphin | Lanfranco Dettori |
2011 | Danedream | 3 | Peter Schiergen | Gestüt Burg Eberstein | Andrasch Starke |
2012 | Meandre | 4 | Andre Fabre | Familie Rothschild | Maxime Guyon |
2013 | Nymphea | 4 | Peter Schiergen | Stall Nizza | Dennis Schiergen |
2014 | Sirius | 3 | Andreas Löwe | Stall Molenhof | Stephen Hellyn |
2015 | Second Step | 4 | Luca Cumani | Merry Fox Stud Ltd | James Spencer |
2016 | Protectionist | 6 | Andreas Wöhler | Australian Bloodstock | Eduardo Pedroza |
2017 | Dschingis Secret | 4 | Markus Klug | Horst Pudwill | Adrie de Vries |
2018 | Best Solution | 4 | Saeed bin Suroor | Godolphin | Pat Cosgrave |
2019 | French King | 4 | Henri-Alex Pantall | Sheikh Mohammed bin Khalifa Al Thani | Olivier Peslier |
2020 | Torquator Tasso | 3 | Marcel Weiß | Gestüt Auenquelle | Lukas Delozier |
2021 | Alpinista | 4 | Sir Mark Prescott | Kirsten Rausing | Luke Morris |
2022 | Rebel's Romance (IRE) | 4 | Charlie Appleby | Godolphin | James Doyle |
2023 | Simca Mille (IRE) | 4 | Stephane Wattel | Haras de la Perelle | Alexis Pouchin |
2024 | Al Riffa (FR) | 4 | Joseph Patrick O'Brien | Al Riffa Syndicate & Masaaki Matsushima | Dylan Browne Mc Monagle |
Besonderheiten aus der Siegerliste
Berliner Namen:
Von 1888 bis 1935 als „Großer Preis von Berlin“ veranstaltet, 1937 als „Erinnerungspokal von 1867“, 1938 bis 1944 als „Großer Preis der Reichshauptstadt“
Berliner Veranstaltungsorte:
1888-1908 Hoppegarten, 1909-1933 Grunewald, 1934-1944
Berliner Rennstrecken:
1888-1896: 2000 m. 1897-1908: 2200 m. 1909-1926: 2400 m. 1927-1937: 2600 m. 1938-1944: 2600 m.
Erster Sieger:
4j. Hengst Durchgänger (Besitzer: W. Hiestrich. Züchter: H. Frerichs).
Randberliner 1901:
Der dreijährige Tuki gewann fraglos standesgemäß, blieb damit in allen sieben Saisonrennen, darunter Deutsches Derby, Hertefeld-Rennen und St. Leger, ungeschlagen. Über die neue Rekordgewinnsumme von 190.600 Mark durfte sich Besitzer Major Otto von Goßler freuen, der als erfolgreicher Herrenreiter das Gestüt Bindow nahe Königs Wusterhausen unterhielt. Er hatte Tuki für nur 1.000 Mark am 15. Oktober 1899 auf einer Auktion in Breslau erworben …
Jahrgangsbester 1928:
„Oleander marschierte nunmehr durch die Hauptereignisse der Berliner Internationalen Woche, denn so viel stand schon unumstößlich fest, dass Oleanders Betätigungsfeld der Kampf mit den Vertretern des Auslandes sein müsse, denn in unseren Landen war kein Vollblüter in Training, den Oleander hätte zu fürchten brauchen. So wurde dann auch der Große Preis von Berlin für ihn nicht mehr als ein Gesundheitsgalopp. Oleander kanterte fünf Längen vor der Elite der älteren Pferde nach Hause …“
(Aus „Album des Deutschen Rennsports 1928“)
Überraschungssieger 1935:
„Für das wertvollste Rennen der Reichshauptstadt war aus Paris Admiral Drake entsandt worden. Der Hengst des Stalles Volterra war unbedingt ein Gegner von Format, wie man ihn vielleicht noch nie auf einer Berliner Bahn gesehen hat, wenn man nicht gerade bis zu Tokio oder gar Kinscem zurückgehen will. (…) Es ist bezeichnend, dass gegen dieses Pferd die ganze Elite der älteren deutschen Klasse antrat, Hengste wie Athanasius, Blinzen, Travertin, Ehrenpreis, Janitor und Ebro, dass aber als einziger Dreijähriger Sturmvogel aufgeboten wurde, und dieser einzige Dreijährige war schließlich doch das Pferd, das den Sieg des Franzosen verhinderte. Der Verlauf der Prüfung ist allerdings leider nicht ganz einwandfrei gewesen. Athanasius hatte ein besonders unglückliches Rennen gehabt und endete als Letzter. Bei einer Drängelei vor der Distanz war ferner Ehrenpreis Travertin in die Hacken geraten und auch Admiral Drake aufgehalten worden. Der Franzose kam zum Schluss noch in großem Stil auf, aber Sturmvogel hatte sein Rennen bereits sicher, und Admiral Drake konnte nur noch den zweiten Platz vor Blinzen und Travertin besetzen.“
(Aus „Album des Deutschen Rennsports 1935“)